Altersgerecht – behindertengerecht: Wo liegen mögliche Unterschiede?
Ausgabe: 09-2024 Datum: 20.09.2024
Thema: Wohnen im Alter & Mobilität
Wir sollten wegkommen vom Schubladendenken, der Einteilung der Menschen in behindert, gesund, alt, jung
Wir haben in der Arbeitsgruppe Wohnen & Mobilität eingehend und auch kontrovers diese beiden Begriffe untersucht, haben uns gefragt, ob man sie problemlos gleichsetzen darf.
Fakt ist: Wir sind im Alter oft mit Beeinträchtigungen konfrontiert, sowohl mit körperlichen als auch mit geistigen oder psychischen. Diese können uns daran hindern oder es uns erschweren, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, uns selbständig im öffentlichen Raum zu bewegen.
Viele alte Menschen teilen diese Einschränkungen mit Menschen mit einer Behinderung. Als Alternde sind wir deshalb allen Akteuren dankbar, die mit ihrem Einsatz schon viel erreicht, dazu beigetragen haben, diskriminierende Umstände und Situationen für Menschen mit Behinderung, egal in welchem Alter, zu überwinden.
Das 2004 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), das die Benachteiligung von Menschen mit einer Behinderung beseitigen soll, gilt auch für die meisten Einschränkungen, die mit dem Alter verbunden sind.
Was wir aber unbedingt beachten, wissen müssen:
- Die Gleichsetzung von Alter mit Behinderung ist zu stark vereinfachend.
- Sie wird den Bedürfnissen der älteren Menschen nicht genügend gerecht und impliziert sogar einen altersdiskriminierenden Aspekt, nämlich: Alter = Behinderung.
- Diese Gleichsetzung verhindert, dass Differenzen wahrgenommen und entsprechende sinnvolle und notwendige Massnahmen getroffen werden.
- Die mit dem Alter verbundene Fragilität darf keinesfalls mit Behinderung gleichgesetzt werden.
- Wichtig zu wissen: Viele Alternde bleiben trotz erhöhter Fragilität unabhängig!
- Spezifisch das Alter und Altersrechte abdeckende schweizerische und internationale Rechtsinstrumente existieren bis jetzt noch nicht und sollten in Analogie zum BehiG und zur UNO Behindertenrechtskonvention unbedingt erarbeitet werden.
Fazit:
- Behindertengerechte Vorgaben decken bei weitem nicht alle wichtigen altersgerechten Aspekte und Bedürfnisse ab. Es ist wichtig, die möglichen altersspezifischen Einschränkungen zu klären und zu prüfen, wie weit diese Einschränkungen mit behindertengerechten Massnahmen bereits abgedeckt sind oder ob es Unterschiede gibt, die gezielte, altersspezifische Massnahmen sinnvoll machen.
Ein gutes Beispiel dazu betrifft die im Alter abnehmende Regulationsfähigkeit als Reaktion auf Kälte- und Wärmestress, Kälte, Hitze, Klimawechsel.
S.Tabelle «Abzudeckende Bedürfnisse der verschiedenen Dimensionen altersbedingter Einschränkungen» auf S. 3-4 in der Beilage.
- Hinzu kommt, dass die Umsetzung der bestehenden behindertengerechten Vorgaben und Normen, die auch im Alter von grosser Bedeutung sind, oft nicht genügend umgesetzt sind, sowie zum Bsp. im Wohnungsbau oder im ÖV.
- Dass bei Eintritt ins AHV-Alter die vorher möglichen finanziellen und beratenden Unterstützungsmassnahmen durch die IV nicht mehr oder nur mangelhaft in reduziertem Ausmass beansprucht werden können (wenn man nicht bereits vorher bezugsberechtigt war), ist ein weiterer Aspekt mit möglichen negativen Folgen.
So werden u.a. Hilfsmittel, obwohl diese ermöglichen, den Alltag möglichst selbständig und unabhängig bewältigen zu können, nach dem Eintritt ins AHV-Alter nur reduziert mitfinanziert, wie zum Bsp. Hörgeräte. Erst im Alter Sehbehinderte: sie erhalten keine Schulung in Pyramidenschrift, die ihnen den selbständigen Kauf am Billett-Automaten ermöglichen würde.
Diese unterstützenden Aspekte sind deshalb so wichtig, weil Fragilität und Abhängigkeit durch entsprechende Hilfsmittel zumindest teilweise kompensiert werden können und damit eine längere Selbständigkeit ermöglichen.
Alles zu tun zur Stärkung der Potenziale, des Leistungsvermögens und der funktionalen Fähigkeiten der Alternden ist ein Plus für die ganze Gesellschaft!
- Wir sollten wegkommen vom Schubladendenken, der Einteilung der Menschen in behindert, gesund, alt, jung etc. denn: Die Aspekte (die Normen), die für Menschen mit Einschränkungen und für fragile Alternde positiv sind, wie zum Bsp. schwellenlose Wohnungen oder gute Lichtverhältnisse im öffentlichen Raum bringen für alle Menschen nur Vorteile.
Arbeitsgruppe „Wohnen und Mobilität“ der VASOS, Präsidentin: Jolanda Schütz
Beilage (s. Webseite https://vasos.ch)
Von der Arbeitsgruppe verabschiedetes Grundlagenpapier (2 S.):
«altersgerecht – behindertengerecht: Wo liegen mögliche Unterschiede?»