Demografische Alterung und öffentlicher Verkehr: Welche Herausforderungen?
Thema: News, Wohnen im Alter & Mobilität
Die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes von 2002 (BehiG) kommt allen ÖPNV-Kunden einschließlich Senior:innen zugute
Am 6. Juni vertrat ich die VASOS an einem vom Verkehrsclub der Schweiz (VCS) organisierten Seminar in Lausanne, an dem auch Vertreter des Bundesamts für Verkehr, der Transports publics de la région lausannoise (TL), der Universität Lausanne (Mobil’home), des Büros Id-Geo und der SwissPass-Allianz teilnahmen.
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist ein generationenübergreifender Ort, an dem alle Menschen, ob jung oder alt, mit oder ohne Behinderung, selbstständig Zugang haben sollten. Es handelt sich um Menschenrechte, nicht mehr und nicht weniger! Es gibt eine Reihe von Faktoren, die Senioren und Menschen mit eingeschränkter Mobilität davon abhalten, den ÖPNV zu nutzen. Wie z. B.: steigende Preise, die ohnehin schon hoch sind, eine wachsende Zahl von Fahrkartenkäufen, Orientierungsschwierigkeiten in immer voller werdenden Bahnhöfen, längere Wege zu den Bahnsteigen, eine Fülle von nicht immer klaren Tabellen und Hinweisen, oft unzureichender Zugang zu Rampen und Aufzügen sowie zu Sitzplätzen auf den Bahnsteigen und in den Zügen etc. Die Entwicklungen gehen nicht in Richtung einer natürlichen Integration von Senioren in einen Sektor, der von den politischen Behörden immer stärker unter Druck gesetzt wird.
Die Präsentationen vermittelten insbesondere Kenntnisse über die rechtlichen Grundlagen, welche die Zugänglichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel in der Schweiz regeln. Wie jene von den TL (Lausanne und Region) umgesetzten Lösungen, um sie für Senioren zugänglicher zu machen, die Strategien zur Verringerung von Stürzen in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die vom VCS angebotenen Kurse für Senioren, um die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (wieder) zu erlernen, das Pilotprojekt zur Tarifgestaltung myRIDE, usw. Das Seminar und die Podiumsdiskussion waren reich an Informationen und Austausch, von denen hier einige Aspekte vorgestellt werden:
Die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes von 2002 (BehiG) kommt allen ÖPNV-Kunden einschließlich Senioren zugute (stufenloser Zugang zu Bahnsteigen und ebenerdiger Zugang zu Fahrzeugen). Es setzt eine Frist von 20 Jahren für strukturelle Anpassungen von Bahnhöfen und Haltestellen, sofern diese verhältnismäßig sind. Leider erfüllen bis Ende 2023 nur 61% der 1’800 Bahnhöfe in der Schweiz die Anforderungen des BehiG. Der Verein Agile forderte den Bundesrat auf, eine neue Frist für die Anpassung an die Zugänglichkeitsstandards bis spätestens 2030 festzulegen, mit Sanktionsmöglichkeiten für den Fall der Nichteinhaltung. Letztendlich werden Anpassungen für 91 % möglich sein. Für die restlichen 9 % werden aufgrund von Arbeiten, die unverhältnismäßig wären, dauerhafte Ersatzmaßnahmen angeboten (Hilfe durch Bahnpersonal). Da die Bahnkunden die Bahnsteige zunehmend mit Aufzügen erreichen wollen, hat das BAV die Eisenbahnunternehmen zudem aufgefordert, diesen Aspekt bei neuen Um- und Neubauten zu berücksichtigen. Die VASOS ist besorgt über diese Verzögerungen und verfolgt das Dossier.
Die TL der Region Lausanne haben einen Beauftragten für Personen mit besonderen Bedürfnissen (PBS) ernannt, dessen Aufgabe es ist, mit verschiedenen Verbänden (Vertreter von Menschen mit Behinderungen, Seniorenbeauftragte der Stadt und der Region usw.) zusammenzuarbeiten, um die Hindernisse für die Zugänglichkeit zu verstehen und geeignete Lösungen einzusetzen. Dieser stellt klar, dass Zugänglichkeit und Inklusivität allen Kunden zugute kommen, nicht nur den PBS. Ziel ist es, diese Bedürfnisse so früh wie möglich in Infrastrukturprojekte, Flottenerneuerungen oder die Entwicklung neuer Produkte zu integrieren. Das Außendienstpersonal wird für eine kundenorientierte Haltung sensibilisiert. Auf die Frage nach dem schlechten Beispiel der Bushaltestellen in Lausanne, die zu weit vom Bahnhof entfernt und für Senioren schwer zu erreichen sind, antwortete der Delegierte, dass die TL nicht für die Standorte verantwortlich seien.
Seit 2015 bietet der VCS in vier Kantonen einen theoretischen und praktischen Kurs für Senioren an, der von den Gemeinden bezahlt wird und den Titel “Mobil sein und bleiben” trägt und dessen Interesse ungebrochen ist. Die Vervielfältigung der Medien, Konten und Passwörter, Schnittstellen und mangelnde Popularisierung, Angst vor Betrug (die Betrügereien, von denen Senioren betroffen sind, belaufen sich auf 675 Mio. CHF pro Jahr) – diese Anwendungen erweisen sich selbst für die jüngeren Generationen als schwierig! Senioren äußern Ängste im Zusammenhang mit der Nutzung des ÖV, mangelndes Verständnis für bestimmte Einrichtungen, Schwierigkeiten, mit neuen Verkehrsangeboten Schritt zu halten, Angst, im ÖV angerempelt zu werden, Angst, zu stören, wenn sie nach einem Sitzplatz fragen, gefühlte Unsicherheit in der Nacht etc. Diese Hinweise werden an die Verkehrsunternehmen weitergeleitet, um die Anwendungen zu verbessern.
In Bezug auf den kostenlosen ÖV besagt Artikel 81a Absatz 2 der Bundesverfassung, dass “die von den Benutzern des ÖV bezahlten Preise einen angemessenen Teil der Kosten decken”. Aufgrund dieses Artikels fällte das Bundesgericht im März 2023 ein Urteil, das den kostenlosen ÖV in der Schweiz beerdigte. Die Preise für Zugtickets sind für Senioren zu teuer. Beispielsweise wäre ein Rabatt von mindestens 50 % für ein Halbtaxabonnement der SBB (derzeit 24 %) willkommen. Einige Gemeinden, darunter Lausanne, gewähren Senioren auf ihrem Streckennetz einen Rabatt von 50 %. Darüber hinaus sind einige Tarife nicht leicht verständlich.
Die Zahl der Unfälle, bei denen Fahrgäste in Straßenbahnen, Bussen der städtischen Verkehrsnetze und Zügen betroffen sind, nimmt zu, ebenso wie in den Zügen. Im Nahverkehr ereignen sich jedoch 7 x mehr Ereignisse als im Schienenverkehr, Frauen und ältere Fahrgäste sind überrepräsentiert. Das BAV hat die Problematik im Rahmen eines Projekts zum Nah- und Schienenverkehr (Umfragen, Workshops und Feldstudien) in enger Zusammenarbeit mit den TUs und verschiedenen Verbänden analysiert und 4 Maßnahmenpakete entwickelt: Kommunikation der Projektergebnisse, Verstärkung der Forschung und des Austauschs zum Thema Stürze, Verbesserung der Datenbank, Erwägung einer Kampagne zur Sensibilisierung der Fahrgäste.
Eliane Rey, Delegierte der UREV bei der VASOS und Mitglied der Arbeitsgruppe Wohnen und Mobilität