Genug gefeiert – der Kampf geht weiter! / 50 Jahre nach der Annahme des Frauenstimmrechts
Ausgabe: 02-2021 Datum: 25.02.2021
Thema: Generationendialog, Sozialpolitik
Zum 50jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts beschreiben Liselotte Lüscher und Michel Pillonel, wie es für Schweizer Frauen war, ohne demokratischen Rechte zu leben.
Genug gefeiert – der Kampf geht weiter!
Wir alte Frauen lebten als junge Frauen ausserhalb der Demokratie!
Und heute 50 Jahre nach Einführung dieses Stimmrechts wundern wir uns, dass wir in der Schweiz nicht weiter sind. Dass in den nationalen Räten bei der einen Wahl nicht einmal die Männer und einmal die Frauen dominieren, sondern immer die Männer, dass in Verwaltungsräten und noch viel mehr in Geschäftsleitungen von Unternehmen nach wie vor Männer, vor allem Männer sitzen. Dass man immer noch über Quoten diskutieren muss, weil der Widerstand so zäh ist.
Frauen, die heute 85 sind, hatten 15 Jahre ihres Frauenlebens kein Stimmrecht gehabt und es war ihnen vor ihrem 35. Altersjahr nicht möglich gewesen für ein politisches Amt zu kandidieren. Sie befanden sich ausserhalb der Demokratie.
Viele von ihnen kämpften damals für ihr Stimmrecht, ihren Einbezug ins politische Leben. Sie verteilten Flyer, nahmen an Demonstrationen teil, wirkten im Bekanntenkreis und am Arbeitsplatz. Wir, die wir heute alte Frauen sind, meinten die Einführung des Frauenstimmrechts sei ein grosser und wichtiger Schritt gewesen. Aber der Schritt war kleiner als wir dachten. Also kämpfen wir weiter, solange wir da sind!
Liselotte Lüscher, Vorstand VASOS FARES
50 Jahre nach der Annahme des Frauenstimmrechts – Nichts war einfach
Bevor die Schweizerinnen vor 50 Jahren das Stimmrecht erhielten, mussten Männer, für die dieses Recht eine Selbstverständlichkeit war, darum kämpfen, die Mehrheit ihrer Artgenossen davon zu überzeugen, ein JA in die Urne zu werfen. Ich gehörte auch dazu! Im bäuerlichen Umfeld war die Tendenz eher negativ. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich stamme selbst aus diesem Milieu. Ich kann Ihnen versichern, die Diskussionen in der Familie waren episch!
Vor 50 Jahren, am 7. Februar 1971, wurden die Schweizerinnen endlich vollwertige Bürgerinnen auf Bundesebene. Unser Land musste jedoch zwei Anläufe nehmen, bevor ihnen in den Urnen das Stimm- und Wahlrecht gewährt wurde. Wenn Sie meinen, dass ihnen dieses Recht problemlos bewilligt wurde, dann täuschen Sie sich! Die Männer, für die dieses Recht eine Selbstverständlichkeit war, mussten kämpfen, um die Mehrheit ihrer Artgenossen davon zu überzeugen, ein JA in die Urne zu werfen. Ich gehörte auch dazu! Ich war damals Präsident der Genfer Sektion und es war praktisch einer der ersten gewerkschaftlichen Kämpfe, den ich zu führen hatte. Davor haben natürlich die Ereignisse vom „Mai 68“ stattgefunden, und ich kann Ihnen sagen, in Genf war etwas los! Gleich anschließend kam diese Abstimmung in Sicht. Es ging darum, die meist jungen Mitglieder zu motivieren, aktiv an den Diskussionen über die Stichhaltigkeit der Gewährung dieses Rechts an die Frauen teilzunehmen. Alle Versammlungen waren diesem Thema gewidmet, und ich kann Ihnen versichern, dass bei weitem nicht alle Männer dies selbstverständlich fanden. Manchmal hätte man fast einen Helm gebraucht, so lebhaft waren die Diskussionen. Der überwiegende Teil der Mitglieder kam aus den ländlichen Kantonen und aus einem bäuerlichen Umfeld, die Tendenz war eher negativ.
Ich stamme selbst aus diesem Milieu und ich erinnere mich an die lebhaften Diskussionen am Sonntagmittag im Familienkreis. Es war episch! Mein Vater und meine Brüder waren strikt gegen die Annahme des Frauenstimmrechts. Um das Tabu auszurotten, das in diesem Milieu vorherrschte, musste man früh aufstehen, denn das Naturgesetz der biologischen Aufteilung zwischen Arbeit und Gesellschaft war eine alltägliche Realität. Alle lebten unter dem gleichen Dach. Es war ein Naturgesetz, dass Frauen und Männer unterschiedliche Eigenschaften und Kompetenzen sowie unterschiedliche Aktivitätsbereiche hatten. Diese Ordnung umzustoßen, hieß, die Sozialordnung selbst umzustoßen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern war heilig, und wenn die Frau wählt, vernachlässigt sie ihre Pflichten der Familie gegenüber. So lauteten die Argumente der Gegner, die es zu bearbeiten galt, um sie umzustimmen. Meine Brüder ließen sich schließlich überzeugen, aber für meinen Vater übernehme ich keine Garantie.
Michel Pillonel, Vizepräsident VASOS FARES