Pflästerli für das Gesundheitswesen?
Ausgabe: 05-2024 Datum: 23.05.2024
Thema: Gesundheit, News
Am 9. Juni stimmt das Schweizervolk über die Kostenbremse-Initiative und über die Prämien-Entlastungs-Initiative ab
VASOS, die grösste Vereinigung aktiver Seniorinnen und Senioren der Schweiz lud dazu zwei Referenten ein, Mitte-Nationalrat Christian Lohr und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard. Seniorweb war dabei.
Am Nachmittag der Frühjahrsdelegiertenversammlung der VASOS referierte zunächst Christian Lohr über die Kostenbremse-Initiative. Die Kosten für eine gute medizinische Versorgung sind seit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung 1996 stark gestiegen und damit auch die Krankenkassenprämien. Deshalb schlägt das Initiativkomitee vor, dass in Zukunft die Kosten maximal nur so viel steigen dürfen, wie die Lohnentwicklung und das Wirtschaftswachstum dies vorgeben.
Nach Nationalrat Lohr ist es inakzeptabel, dass eine Mittelstandsfamilie in absehbarer Zeit 15 000 bis 20 000 Fr. pro Jahr aufwenden muss, um die Krankenkassenprämien zu bezahlen. Es brauche endlich ein generationenübergreifendes Gesundheitssystem, das Ineffizienz bekämpfe, Über- und Fehlbehandlungen einschränke und Profiteuren wie Krankenkassen, Spezialärzten und Pharmafirmen den Riegel schiebe. Er sei wohnhaft in Kreuzlingen und kenne sehr wohl die sachlich unerklärbaren Preisunter-schiede von Medikamenten zwischen Kreuzlingen und Konstanz. Es brauche eine effiziente Kostenkontrolle und da sollen alle «Leistungserbringer» mitmachen.
Die Initianten verzichten bewusst auf konkrete Massnahmen. Was gut sei im Gesundheitswesen, soll beibehalten werden und es werde von den Akteuren sehr viel Gutes getan, aber die Mittel sollen vernünftiger eingesetzt werden. Das Drohszenario einer Zweiklassenmedizin sei an den Haaren herbeigezogen. Er sei seit 12,5 Jahren im Parlament, seither Mitglied der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. In dieser Kommission seien viele gute Ideen zum Kostensparen geboren und ebenso viele begraben worden nach dem Motto: Kosten sparen ja, aber nicht bei mir, respektive bei der Interessengruppe, die ich vertrete. Der Lobbyismus führe zu unakzeptablen Resultaten. Mit der Annahme der Initiative seien der Bundesrat, das Bundesamt für Gesundheit und die Kantone gefordert, vernünftiges Kostensparen voranzutreiben. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments sei zahnlos, da keine Sanktionen oder Massnahmen vorgesehen seien, wenn die Sparziele nicht erreicht würden.
Pierre-Yves Maillard hält die Prämien-Entlastungs-Initiative für ein wirksames Mittel, um den Mittelstand steuerlich zu entlasten, denn in den letzten 20 Jahren hätten sich die Krankenkassenprämien mehr als verdoppelt, während Löhne und Renten kaum gestiegen seien.
In den Abstimmungsunterlagen steht: «Die Prämien-Entlastungs-Initiative fordert, dass alle Versicherten höchstens 10% ihres verfügbaren Einkommens für die Prämien aufwenden müssen und dass sie für den Betrag darüber hinaus eine Prämienverbilligung erhalten. Der Bund müsste diese zu mindestens zwei Dritteln finanzieren, die Kantone müssten den Rest übernehmen.»
Nach Maillard muss die unsoziale, ungerechte Kopfsteuer der Krankenkassen plafoniert werden. Es brauche eine Entlastung insbesondere für Menschen, die noch keine Prämienentlastungen haben. Das sind vor allem Menschen aus dem Mittelstand, Familien mit mehreren Kindern, Alleinerziehende, Seniorinnen und Senioren. Die Kosten für diese Prämienentlastungen sollen Bund und Kantone übernehmen, damit sie aufgefordert sind, energischer gegen unvernünftige Gesundheitskosten vorzugehen und den Lobbyismus tatkräftiger in Schranken zu weisen. In den Kantonen Waadt und Graubünden habe man die Prämien auf maximal 10% des verfügbaren Einkommens plafoniert und fahre gut damit. Deswegen könne das Modell auf die ganze Schweiz ausgeweitet werden. Die Annahme der Initiative verursache nicht Mehrkosten, sondern verlagere sie vom Mittelstand an Bund und Kantone, die somit nachhaltig aufgefordert werden, das Lied von profitgierigen Lobbyisten nicht mehr mitzusingen.
Die VASOS-Delegierten folgten den Argumenten von Maillard und fassten die Ja-Parole für die Prämien-Entlastungsinitiative ohne Gegenstimme. Zur Kostenbremse gab es ein unentschiedenes Resultat, weswegen auf eine Stimmempfehlung verzichtet wurde.
In Voten nach den Referaten, in der Pause und nach dem Anlass war der Unmut über den Lobbyismus der Profiteure im Gesundheitswesen gross. Es gelte ein klares Statement abzugeben: So nicht, kein weiter so… im Gesundheitswesen. Vielen war klar, dass mit den beiden Initiativen das kranke Gesundheitswesen noch nicht genesen könne. Weitere Fragen wurden diskutiert: Braucht es eine Einheitskrankenkasse? Muss die FMH die Löhne von Spezialärzten zugunsten von Hausärzten plafonieren? Braucht es nach den grossartigen Erfolgen in der Akutmedizin ein besseres System von medizinischen und Sorgeleistungen in einer Zeit des langen Lebens? Wie können medizinische und Betreuungsleistungen von Professionellen und Laien besser koordiniert werden? Braucht es ein leicht nutzbares, einheitliches obligatorisches elektronisches Patientendossier, um Über- und Fehlbehandlungen zu reduzieren und die Pflege- und Betreuungshandlungen der Akteure besser zu koordinieren?
Allen war auch klar, dass alle etwas beitragen können zur Gesundung des Gesundheitswesens: Die Sorge um die eigene Gesundheit und die der Nächsten und Nachbarn; eine kritisch-konstruktive Haltung gegenüber den «Leistungserbringern»; sich nicht unnötige Behandlungen aufschwatzen lassen und allenfalls Zweitmeinung einholen; eine möglichst sinnvolle Alltagsgestaltung im Alter; die Abwahl von Politikerinnen und Politikern, die als Handlanger für profitgierigen Lobbyismus tätig sind.
Beat Steiger, Einzelmitglied VASOS FARES