Seit zwanzig Jahren Stimme und Gewissen des dritten Lebensalters
Ausgabe: 06-07-2024 Datum: 27.06.2024
Thema: News, Sozialpolitik
Der Kanton Tessin hat als einziger Schweizer Kanton im Jahr 2004 den Seniorenrat gegründet
Ihm gehören Vertreter der zehn Gründungsorganisationen an, die sich für das Wohlergehen und die Belange der älteren Generation einsetzen. Seit 2014 wird er von Maria Luisa Delcò geleitet, die wir interviewt haben.
Maria Luisa Delcò haben wir einige Fragen gestellt, beginnend mit der Rolle der Organisation, die Alberto Gianetta (erster Präsident) als „politisch“ bezeichnete. Welchen Raum hat sich der Seniorenrat im Tessin geschaffen und mit welchen Partnern hat er sich auseinandergesetzt?
Es ist wichtig, die „politische“ Rolle des Rates zu betonen, verstanden als Mission gegenüber älteren Menschen, denen eine aktive Rolle in der Gesellschaft garantiert werden soll. Der Rat hat eine gewisse Autonomie im Rahmen der statutarischen Ziele und fungiert als beratendes Organ des Staatsrats. Das Departement für Gesundheit und Soziales (DGS) ist daher der erste Partner. Wichtig sind die Meinungen der VertreterInnen der Organisationen, die unser Komitee bilden, mit denen das Exekutivbüro dialogisiert, diskutiert und Anträge, Meinungen, Projekte und Entscheidungen vorschlägt.
Unter welchen Umständen wird Ihre Meinung angefragt? Mit anderen Worten, wann werden Sie eingebunden oder fühlen sich legitimiert, einzugreifen?
Der Rat kann nach Bedarf angehört werden, mit Vorschlägen und/oder schriftlichen Stellungnahmen, da er apolitisch und überkonfessionell ist, also weder eine Partei noch eine Gewerkschaft. Wir haben Meinungen zu Regierungs- oder Gesetzesakten geäußert, die die ältere Bevölkerung betreffen, beispielsweise zur integrierten Planung und Umstrukturierung der ARP (Schutz- und Vormundschaft). Während der Covid-Phase wurden wir konsultiert und wir haben wir uns auch etwas verteidigt gegen diejenigen, die uns „in den Winterschlaf schicken“ wollten.
Ist Ihre Stimme im Allgemeinen gehört? Wird die Sichtweise der älteren Menschen von den Behörden ausreichend berücksichtigt?
In den ersten zehn Jahren seit der Gründung war es nicht einfach, Gehör zu finden und sich Gehör zu verschaffen, doch durch verschiedene Formen wurden wir zunehmend einbezogen, auch dank unseren Vertretungen in den Organisationen, mit denen das Arbeitsklima gut ist. Veröffentlichungen, die Teilnahme an Kommissionen, Initiativen, Projekte, Meinungen zu Forschung und Umfragen haben zu unserer Sichtbarkeit beigetragen. Nicht zu vergessen sind die Überlegungen und die Aufmerksamkeit der DGS-Direktion und ihrer direkten Mitarbeitenden, die oft zu unseren Versammlungen eingeladen werden, um über gewisse Themen zu berichten.
Welche Prioritäten und Hauptleistungen hat der Rat in seinen ersten 20 Jahren erreicht? In welchen Bereichen wurden Fortschritte im Hinblick auf die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung erzielt und wo sind Verbesserungen wünschenswert?
Es gab Erfolge, auch dank der Anerkennung auf kantonaler Ebene und der hervorragenden Zusammenarbeit mit der SUPSI (Kompetenzzentrum für ältere Menschen), der USI (Institut für öffentliche Gesundheit) und im Rahmen von Untersuchungen und Forschung (Swissdem, I support). Zudem unterstützen wir Pilotprojekte, die darauf abzielen, die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern. Was die Prioritäten betrifft, so ist das oberste Ziel, den Menschen in seiner Gesamtheit zu betrachten, nicht nur als Träger von Schwächen, sondern als Ressource für die Gesellschaft in verschiedenen Bereichen, wobei das Konzept der Grenze in jeder Lebensgeneration berücksichtigt wird. Wichtig waren die Publikationen, die genau unter diesem Aspekt beachtet wurden. Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern physisches, psychisches, emotionales und soziales Wohlbefinden. Verbesserungen sind hinsichtlich den Beziehungen zum kantonalen Jugendrat wünschenswert, der ebenfalls wechselnde Erfolge hatte.
Die Generation der Babyboomer steht kurz vor der Pensionierung. Was sollten sie beachten und welche Chancen werden sich ihnen bieten?
Eine der Sorgen ist, das bisher Erreichte zu bewahren, auch dank der Rolle, die die Seniorenorga-nisationen vor Ort spielen, zum Beispiel mit dem Angebot von Freizeit- und Sozialzentren. Nicht zu vergessen ist die finanzielle Sorge im Zusammenhang mit der AHV, die seit ihrer Einführung 1948 viele Änderungen erfahren hat, nicht aber in einer langfristigen und projektbezogenen Perspektive. Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, beim Ruhestand sich nicht den Möglichkeiten zum Kontakt der Welt zu verschließen, sondern diesen vielmehr zu pflegen, weiterhin mit Vorschlägen sich einzubringen, zum Beispiel mit der regelmässigen Teilnahme an kommunalen und kantonalen Wahlen.
Woran arbeitet der Seniorenrat derzeit und auf welche Themen wird der Fokus gelegt?
Neben der laufenden Arbeit für die Organisation hat der Rat ein Projekt für das zwanzigjährige Jubiläum entwickelt, bei dem Momente der Begegnung, Gelassenheit und Freude sowohl für aktive SeniorInnen als auch für Bewohnende von Altersheimen organisiert werden. Es gab fünf Veranstaltungen im Mendrisiotto, Luganese, Bellinzona, Tre Valli und Locarnese. Es wurde über das Verhältnis älterer Menschen zur Kunst in ihren verschiedenen Ausdrucksformen gesprochen, ein Film mit dem Titel „Erinnerungen sind keine Nostalgie, sondern führen in die Zukunft“ gezeigt, ein Konzert-Theaterstück mit einer dialektalen Lesung der „Promessi Sposi“ angeboten; es folgen Chor-Konzerte und Ende September wird ein Abend mit Reflexionen über Vorurteile gegenüber dem dritten Lebensalter, das sogenannte Ageismus, stattfinden.
Zum Abschluss dieses besonderen Jahres werden Anfragen an Institutionen/Behörden gestellt, aktuelle und relevante Fragen aus Sicht des Rates hervorgehoben: die Verbesserung der Ausbildung von Mitarbeitenden in Altersheimen, die Überarbeitung der Berechnung der Tarife für Altersheime, unsere Sicht der Gesundheitskosten, die oft nur dem Altern der Bevölkerung zugeschrieben werden, der ältere Mensch als Patient, welche Zukunft? und vieles andere mehr!
Auszug aus einem Interview von Ivan Pedrazzi mit der Präsidentin des Seniorenrats des Kantons Tessin, veröffentlicht in der Rivista di Lugano, Mai 2014