Welttag gegen Misshandlung älterer Menschen
Ausgabe: 05-2024 Datum: 21.05.2024
Thema: News
Häusliche Gewalt bei älteren Paaren: immer noch ein Tabu?
Am 15. Juni ist Welttag gegen Misshandlung älterer Menschen. In der Schweiz sind jährlich rund 300‘000 bis 500‘000 Seniorinnen und Senioren über 60 Jahren von Gewalt betroffen. Gewalt umfasst nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch Vernachlässigung, Nötigung und finanzielle Ausbeutung. Die VASOS empfiehlt Ihnen untenstehenden Text von Elisabeth Leo-Dupont der diesen Themenbereich im Zusammenhang mit dem Welttag aufnimmt.
Wenn wir das Seniorenalter erreicht haben, stellen wir uns vor, dass nun Weisheit, Besonnenheit und Zurückhaltung vorherrschen… aber nein. Dies ist leider oft eine Illusion. Aber da wir häusliche Gewalt nicht direkt erleben, glauben wir, dass sie nicht existiert, weil sie so unsichtbar ist. Und doch ist sie da, gut geschützt hinter den Mauern der Wohnungen.
Der Individualismus dominiert unsere Gesellschaft und so vermeiden wir es, uns in das Leben von Ehepaaren oder Nachbarn einzumischen, da diese auf ihre Privatsphäre bedacht sind.
Senioren und Seniorinnen, die in ihrer Ehe von Gewalt betroffen sind, entwickeln die gleiche Scham. Sie sind nicht geneigt, ihren Konflikt oder ihr Leiden irgendwo zu melden, mit ihrem Umfeld darüber zu sprechen und Hilfe von außen zu suchen, um aus ihrem Opferstatus herauszukommen. Eine Frage der Erziehung? der Generation? der Resignation? der Angst vor Repressalien? der möglichen Stigmatisierung durch die Familie? In der Zeit von #metoo ist es an der Zeit, dieses Phänomen sichtbar zu machen.
Was hält diese Menschen davon ab, zu reagieren? Sich lieber in Schweigen zu hüllen? Kränkungen, herabwürdigende und aggressive Äußerungen zu erdulden oder sogar eine schroffe, ja brutale und manchmal sogar tödliche Geste hinzunehmen?
Wenn man ein Leiden in Worte fasst und es wagt, eine Misshandlung zu melden, indem man aus der geschlossenen Gesellschaft des Paares oder der Familie ausbricht, erkennt man seine Verletzlichkeit und seine Grenzen, die Situation zu ändern. Es bedeutet aber auch, den Kopf zu heben, einen Teil seiner Würde wiederzuerlangen und die wiederholten Beleidigungen, die Vernachlässigung und die Entbehrungen zu bremsen. Diese Demütigungen haben sich oft allmählich in der Partnerschaft festgesetzt und sind daher schwer zu erkennen, denn man scheint sich daran gewöhnt zu haben und neigt dazu, diese psychologische, aber manchmal auch physische Gewalt, die Frauen und gesundheitlich geschwächte Personen (z. B. Alzheimer) stärker betrifft, zu banalisieren.
Gibt es bestimmte Warnsignale? Soziale Isolation, Gewichtsverlust, vernachlässigte Hygiene, Blutergüsse sollten uns aufhorchen lassen.
In der ganzen Schweiz wurde eine Sensibilisierungskampagne gestartet, damit Senioren und Seniorinnen bei häuslicher Gewalt die Hilfsressourcen in Anspruch nehmen, denn heute suchen weniger als 5% der über 65-Jährigen eine Opferhilfestelle auf.
Sie sind nicht allein und es ist nie zu spät Hilfe zu holen.
Hier ist die Telefonnummer für diese Hilfe: 0848 00 13 13
Elisabeth Leo-Dupont,Vizepräsidentin Schweizerische Rentnervereinigung, VASOS Delegierte Schweizerischer Seniorenrat