Fragen an die Klimaaktivistin Pia Hollenstein
Ausgabe: 03-2024 Datum: 19.03.2024
Thema: Generationendialog, News
«Wir in der Schweiz stehen in der Verantwortung»
Im Verein KlimaSeniorinnen Schweiz haben sich über 2500 Seniorinnen aus allen Landesteilen organisiert, um mit einer Klage Bundesrat und Parlament zu zwingen, entschlossener gegen den Klimawandel zu handeln. Demnächst wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg darüber befinden.
Pia Hollenstein, ehemalige Nationalrätin und Klimaaktivistin, erklärt Bea Heim, was von der Klage zu erwarten ist.
- Wie kam es zur Klage?
Die Schweiz macht zu wenig, um unsere Gesundheit und unser Leben vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Bundesrat und Parlament setzen weder den Passus in der Bundesverfassung noch die Klimaziele des Pariser Abkommens gegen den Klimawandel um. Diese Passivität verletzt Grundrechte. Insbesondere ältere Frauen sind von den zunehmenden Hitzewellen betroffen.
- Was erwartest du vom EGMR?
Das Gericht muss entscheiden, ob die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen stärker reduzieren muss, um die Menschenrechte zu schützen. Wir erwarten, dass der EGMR der Schweiz Auflagen respektive Zielvorgaben machen wird.
- Also neue Gesetze?
Schärfere. Die Schweiz müsste bei ihrer Klimapolitik nochmals über die Bücher und beherzter vorgehen. Sie müsste nachweisen, dass die Massnahmen dem 1,5 Grad-Ziel entsprechen. Aber eine erfolgreiche Klage wäre auch ein Signal an die anderen europäischen Staaten, in Sachen Klimaschutz nachzubessern.
- Die Seniorinnen klagen – gibt es beim Klima einen Generationenkonflikt?
Im Gegenteil, wir alle, Jung und Alt, stehen in der Pflicht, die Klimakrise zu verlangsamen. Während wir die ältere Generation vertreten, haben wir mit der Klimajugend eine Bewegung, die schon viel ausgelöst hat und als Motor für Erkenntnis und Veränderung enorm wichtig ist. Es gibt in allen Altersgruppen Uneinsichtige und solche, welche die Fakten anerkennen und ihr Möglichstes beitragen.
- Was kann man ganz persönlich tun?
Neben dem Verzicht auf Flugreisen und Autofahrten kann man auch mit einer pflanzenbasierten Ernährung und der bewussten Anlage der Ersparnisse etwas zum Klimaschutz beitragen. Doch daneben braucht es zwingend strengere staatliche Regulierungen.
- Was ist deine Zukunftsvision?
Ob Natur, Gesellschaft oder internationale Beziehungen, wir können nicht länger so ausbeuterisch weitermachen wie bis anhin. Ich bin der festen Überzeugung, dass immer mehr Menschen zur Einsicht kommen, dass wir nur Überlebenschancen haben, wenn wir uns nicht nur national definieren. Wir haben als Menschen eine Verantwortung und einen Auftrag im Hier und Jetzt – gerade wir in der wohlhabenden und vom Klimawandel noch nicht so betroffenen Schweiz.
Bis nach Strassburg
Der 2016 gegründete Verein der KlimasSeniorinnen ging durch alle rechtlichen Instanzen in der Schweiz, ohne Erfolg. 2022 erfolgte der Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Im März 2023 fand die öffentliche Anhörung statt. Der EGMR muss klären, ob und inwieweit die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen stärker reduzieren muss, um die Menschenrechte zu schützen. In den nächsten Monaten wird das Gerichtsurteil des EGMR erwartet.
Pia Hollenstein, herzlichen Dank für dieses Interview.