Tabuthema Altersalkoholismus – Warum es wichtig ist, darüber zu sprechen
Ausgabe: 06-2023 Datum: 29.06.2023
Thema: Gesundheit
Gastbeitrag von Dr. sc. ETH Christian Lorenz, Leiter Medizinisch-Therapeutischer Bereich Forel Klinik
Schädlicher Alkoholkonsum wie “Komasaufen” wird vor allem mit jüngeren Menschen in Verbindung gebracht. Dabei ist chronisch-riskantes Trinkverhalten in keiner Altersklasse so verbreitet wie bei den Über-65-Jährigen. Ein Drittel alle Pensionierten trinkt täglich Alkohol, aber sie sind dabei diskreter als Jugendliche.
Dr. sc. ETH Christian Lorenz, Psychotherapeut und Leiter des Medizinisch-Therapeutischen Bereichs an der Forel Klinik für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit, gibt Einblick in die physischen und psychischen Voraussetzungen älterer Menschen, die einen erhöhten Alkoholkonsum begünstigen, aber auch problematisch werden lassen.
Täglich, chronisch, schädlich – wie viel ist zu viel?
Der Alkoholkonsum nimmt gesellschaftlich mit steigendem Alter stetig zu, vor allem beim Übergang ins Rentenalter verzeichnet er einen sprunghaften Anstieg, wie Gesundheitsbefragungen des Bundesamts für Statistik zeigen. Werden täglich mehr als zwei Standarddrinks (z.B. zwei Gläser Wein) an fünf Tagen pro Woche konsumiert, spricht man in der Suchtmedizin von einem chronisch-riskantem Konsum. Wiederholen sich regelmässig negative Folgen wie Stürze, eingeschränktes Urteilsvermögen oder Beziehungsprobleme aufgrund des Konsums, spricht man von schädlichem Konsum, der die Vorstufe zur Abhängigkeitserkrankung darstellt.
Soviel zu den Fakten und Begrifflichkeiten. Nun kann man sagen:
Aber es ist doch egal, wenn man ab einem
gewissen Alter ein bisschen mehr trinkt, oder?
Alkohol als Starthilfe in den neuen Lebensabschnitt?
Alkohol ist u.a. deshalb ein so tückisches Suchtmittel, weil es kurzfristig hoch wirksam verschiedene Funktionen unterstützt oder übernimmt, für die sonst besondere Anstrengungen notwendig wären: Alkohol hilft beim Aushalten unangenehmer Gefühle, er entspannt und nimmt Ängste. Die problematischen Folgen stellen sich erst deutlich später ein. In Phasen starker psychosozialer Belastungen ist daher das Risiko für die Entstehung eines missbräuchlichen Konsums besonders hoch.
Insbesondere das Rentenalter ist eine sehr vulnerable Lebensphase, die von Neuorientierung, notwendigen Anpassungsleistungen und Verlusten geprägt ist, z.B. von Gesundheit und Mobilität, Autonomie, Erwerbstätigkeit, gesellschaftlicher Wertschätzung oder nahestehenden Menschen.
Diese Herausforderungen werden oft unterschätzt, schliesslich gilt das Erreichen des Rentenalters als verdientes, erfreuliches Ziel nach all den Jahren des Leistens. Sieht man sich stattdessen einem Gefühl der Struktur- und Orientierungslosigkeit, Leere und Langeweile ausgesetzt, ist man geneigt, Suchtmitteln die Tür zu öffnen. So erklärt sich auch, warum Corona die Abhängigkeitsproblematik unter Manchen in der älteren Generation weiter verschärft hat.
Sucht ist eine Problemlösungsstrategie,
die kurzfristig zwar funktioniert,
aber langfristig neue Probleme schafft.
Der Alkoholmissbrauch ist für viele Senioren schambehaftet. Wer sein Leben gemeistert hat, will sich im Alter nicht noch eine Schwäche eingestehen müssen. Deshalb wird das Problem oft zu lange sich selbst und anderen gegenüber nicht eingestanden und wenn, dann erst nach einem einschneidenden Ereignis wie einer Trennung oder einem schweren Sturz angegangen.
Genuss oder Suchtmittel – Alkohol ist ein Zellgift
Für ältere Menschen ist Alkoholmissbrauch besonders schädlich, da er stärkere Auswirkungen hat. Der Stoffwechsel ist weniger leistungsfähig und der Wasseranteil im Körper hat abgenommen. Dadurch wird der Alkohol schlechter abgebaut. Wechselwirkungen mit Medikamenten erhöhen das Gesundheitsrisiko. Vorerkrankungen wie Diabetes verschlechterten sich, die Sturzgefahr steigt, ebenso das Risiko, an Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs zu erkranken.
Was kann ich als Betroffene/r oder Angehöriger tun?
Betroffene müssen andere Wege kennenlernen, um mit den oben beschriebenen psychischen Belastungen umzugehen. Entspannungsübungen zum besseren Einschlafen, Hobbys und soziale Kontakte gegen die Einsamkeit und Leere. Eine Therapie kann dabei helfen. Zudem empfehlen wir mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche für körperliche und psychische Regenerationsphase.
Wahres Glück liegt in sozialen Kontakten
und sinnvollen Tätigkeiten.
Sollte es sich bereits um eine Abhängigkeit handeln, muss die betroffene Person selber Hilfe wollen und für eine Veränderung motiviert sein. Angehörigen empfehlen wir, statt mit Vorwürfen mit Anteilnahme zu reagieren. Zeigen Sie, dass Sie sich Sorgen um die Person machen.
Dr. sc. ETH Christian Lorenz
Leiter Medizinisch-Therapeutischer Bereich
Forel Klinik
Auf der Website der Forel Klinik www.forel-klinik.ch finden Sie u.a. einen anonymen, unverbindlichen Selbsttest, sowie die aktuellen Termine der Info-Nachmittage für Betroffene und Angehörige.
Allgemeine Suchtfachstellen finden sich in jeder Gemeinde und bieten kompetente Beratungen für Betroffene und Angehörige.